Tabellenlöhne

In der am 3.11.21 verabschiedeten Invalidenversicherungsverordnung (IVV) hat der Bundesrat trotz erheblicher Kritik etlicher Akteure und Parteien von links bis rechts eine unfaire Invaliditätsbemessung bestärkt. Das für die Ermittlung des IV-Grads nötige Einkommen mit Invalidität richtet sich weiterhin nach unrealistischen statistischen Werten, sofern kein tatsächlich erzieltes und anrechenbares Einkommen besteht. Per Motion verlangte das Parlament nun vom Bundesrat bis Ende 2023 eine neue Bemessungsgrundlage. Procap kritisiert den Vorschlag des Bundesrates und fordert in der Vernehmlassungsantwort eine wissenschaftlich fundierte Umsetzung.

Für den Entscheid, ob eine Person eine IV-Rente erhält oder eine Umschulung zugute hat, ist die Lohneinbusse aufgrund ihrer Behinderung massgebend. Dazu wird der sogenannte IV-Grad berechnet. Dabei wird verglichen, wie viel eine Person vor ihrer Invalidität verdient hat und wie viel sie mit ihrer Invalidität noch verdienen könnte. Verhindern gesundheitliche Einschränkungen eine Ausübung der bisherigen Arbeit, wird die Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit abgeklärt. Kommt die IV-Stelle zum Schluss, dass die Person in einer Hilfsarbeit weiterhin arbeitsfähig ist, wird für den Einkommensvergleich auf fiktive Löhne aus einer Tabelle der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE-Tabelle) des Bundesamtes für Statistik zurückgegriffen. 
Allerdings wurde diese Tabelle des Bundesamtes für Statistik nicht für diesen Zweck geschaffen. Dies ist einer der Gründe, weshalb die Tabellenlöhne als Referenz für ein Einkommen für Menschen mit Behinderung zu hoch sind. Zu diesem Schluss kommen zwei wissenschaftliche Beiträge (Siehe www.wesym.ch/de/rechtsgutachten Link öffnet in neuem Fenster. sowie www.tinyurl.com/BASSDE Link öffnet in neuem Fenster.). Die Tabellenlöhne setzen sich zusammen aus den Medianlöhnen diverser Branchen, darunter auch Arbeitszweige, die körperlich sehr belastend sind und daher höhere Löhne verzeichnen wie etwa die Baubranche. Solche Tätigkeiten können Personen mit einer gesundheitlichen Einschränkung jedoch in der Regel nicht ausüben. 


Verheerende Folgen für Versicherungsbezüger*innen

Die Folgen dieser Berechnungsmethode sind verheerend: Der IV-Grad fällt wesentlich tiefer aus, als er bei einer Berechnung mit einem realistisch erzielbaren Einkommen wäre. Ist der IV-Grad zudem kleiner als 40%, erhält die Person gar keine Rente. Das bedeutet meist den Schritt in die Sozialhilfe, obwohl die Zuständigkeit klar bei der IV liegen würde. Hinzu kommt, dass Gering- und Normalverdiener*innen wegen der kleineren Lohneinbusse noch stärker benachteiligt sind als Personen, die in der früheren Tätigkeit sehr gut verdient haben. Und: Liegt der IV-Grad unter 20%, verweigert die IV meist sogar die Unterstützung bei einer Umschulung. 


Aktuelle politische Situation

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit SGK des Nationalrats hat die Motion «Invaliditätskonforme Tabellenlöhne bei der Berechnung des IV-Grads» Link öffnet in neuem Fenster. im Frühling 2022 eingereicht. Die Motion verlangt vom Bundesrat, eine Bemessungsgrundlage zu implementieren, welche bei der Ermittlung des Einkommens mit Invalidität mittels statistischer Werte realistische Einkommensmöglichkeiten von Personen mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung berücksichtigt. Die Motion wurde vom Ständerat in der Herbstsession 2022 sehr deutlich sowie vom Nationalrat in der Wintersession 2022 einstimmig angenommen und nun hat der Bundesrat bis Ende Dezember 2023 Zeit für die Umsetzung. Anfang April 2023 schickte der Bundesrat einen Vorschlag in die Vernehmlassung, den Procap in ihrer Stellungnahme stark kritisiert. Der Bundesrat schlägt einen Pauschalabzug der Tabellenlöhne von 10% vor und stützt sich dabei auf die oben zitierte Studie des Büro BASS. Eine genaue Lektüre der Studie zeigt aber, dass bei einer wissenschaftlich fundierten Umsetzung ein Tabellenlohn-Abzug von 17% angezeigt wäre und je nach Fallkonstellation weitere individuelle Abzüge. Nur so resultieren realistische Einkommensmöglichkeiten. Procap fordert eine entsprechende Anpassung im Hinblick auf eine korrekte und faire IV-Grad-Berechnung.

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