Michel Bogdanski

Michel Bogdanski, sitzend und lächelnd
«Ich würde gerne auf einen Schlag all die Kriege und Dummheiten beenden, die es gibt.»

«Mein Traum ist es, unabhängig zu sein»

Michel Bogdanski(*1942) lebt mit seiner Frau im Kanton Neuenburg. Er ist Mitglied der Sektion Littoral/Val-de-Ruz, war von 1984 bis 2015 Präsident der ehemaligen Sektion Procap Sport Neuchâtel und engagierte sich in verschiedenen Vereinen der Region. Als ausgebildeter Physiker war er unter anderem am Cern und am CSEM tätig.

Interview: Ariane Tripet
Fotos: Timon Stalder

Procap: Mit welchen drei Worten würdest du dich selbst beschreiben?
Michel Bogdanski: Zum einen als Kämpfer. Das ist eine typische Eigenschaft von Polios (Menschen mit einer Polioerkrankung, Anm. d. Red.). Weil sie ihre Behinderung überwinden wollen. Bei mir hat sich das beispielsweise bei meinem Studium gezeigt: Ich wollte nicht nur studieren, ich wollte Klassenbester sein! Da ist einfach ein starker Wille. Ein anderes Wort ist dankbar. Ich bin dankbar für alles, was heute schon zugänglich ist, sei es in Museen oder auf Reisen – meine Frau und ich sind viel gereist, auch wenn noch längst nicht alles umgesetzt ist. Und zuletzt: das Streben nach Unabhängigkeit. Diese ist allerdings schwierig zu erlangen. Heute bin ich völlig abhängig von meiner Frau, die zu Recht sagt: «Ich bin keine Krankenschwester.» Sie macht das gerne – sicherlich aus Liebe, und als pflegende Angehörige erhält sie ein bisschen Hilfe. Aber es ist trotzdem eine Belastung für sie.

Worauf bist du besonders stolz?
Ich bin stolz darauf, mein Studium erfolgreich abgeschlossen und eine Doktorarbeit geschrieben zu habe. Und dass ich das Ganze mit einem wunderbaren Aufenthalt in den USA verbinden konnte. Ich hatte damals die Gelegenheit, in einem Institut an der Universität in Berkeley zu arbeiten, welches allein sieben Nobelpreisträger hervorgebracht hat. Es war schon damals alles zugänglich, und es herrschte eine faszinierende wissenschaftliche Atmosphäre.

Wofür begeisterst du dich?
Beruflich begeistere ich mich für die Forschung, für alles, was auf nuklearer Ebene geschieht, also die Entdeckung der Geheimnisse der Materie. Am Cern ging es um die Erforschung von Teilchen. Privat sind es die kleinen Dinge! Ich spiele gerne Jass, Bridge und Schach. Andere Glücksmomente finde ich auf den kleinen und grossen Reisen mit meiner Frau. Wir mögen Spanien sehr und fahren auch oft nach Frankreich.

Wie würdest du Procap beschreiben?
Das ist zum einen diese Solidarität. Zum anderen – das sage ich aus meiner Perspektive als ehemaliger Sportverantwortlicher und aktives Vorstandsmitglied – geht es immer auch darum, so vielen Menschen mit Behinderungen wie möglich die Dienstleistungen von Procap anbieten zu können. Der sozialversicherungsrechtliche Aspekt ist sicher einer der Hauptgründe, warum Menschen bei Procap Mitglied werden. Aber Procap bietet auch die Möglichkeit, die Anliegen von Menschen mit Behinderungen bekannt zu machen und dafür zu sorgen, dass man sie hört oder dass sie an Veranstaltungen teilnehmen können.

Was war die Motivation für dein Engagement bei Procap.
Die Freude, etwas Sinnvolles zu tun! Ich hoffe, dass ich bei einigen Dingen nützlich sein konnte. (lacht.) Jetzt geht es vor allem darum, in diesem Kampf für mehr Inklusion solidarisch zu sein. Es ist wichtig, dass wir Betroffenen uns zu Wort melden! Meiner Meinung nach sprechen zu viele Menschen über Inklusion, die nicht selbst betroffen sind. Die Forderung nach Inklusion sollte aber vor allem von jenen Menschen kommen, die mit einer Behinderung leben, das hat in der Öffentlichkeit eine ganz andere Wirkung.

Was braucht es für eine inklusivere Gesellschaft?
Mir scheint, wir sind auf gutem Weg! Aber nun muss die Inklusions-Initiative zustande kommen und danach auch umgesetzt werden – allerdings ohne dass der Gesellschaft die dafür nötigen Veränderungen aufgedrängt werden. Es gibt so viele Einzelfälle. Das ist die Schwierigkeit bei Behinderungen: Jeder Fall ist einzigartig. Ich sehe dies bei meinen Polio-Kollegen. Die einen können Dinge tun, die ich nicht kann – und umgekehrt.

Welche Superkraft hättest du gerne?
Ich würde gerne mit einem Zauberstab Frieden auf der Welt schaffen und auf einen Schlag all die Kriege und Dummheiten beenden. Es ist schrecklich zu sehen, was durch die vielen Naturkatastrophen zerstört wird. Aber die Zerstörungen durch Krieg ergeben doch keinen Sinn! Ein weiterer Wunsch wäre, dass die Menschen vernünftiger werden und begreifen, dass es schon viel bringt, wenn man sich mit dem zufriedengibt, was man hat. Und was ich auch gerne ändern würde, ist die Verteilung des Geldes. Ich kann nicht verstehen, warum manche Leute Millionen verdienen. Ich finde das unanständig, vor allem wenn es auf der anderen Seite Menschen gibt, die verhungern.

Hast du einen bestimmten Traum?
Nun, ich will nicht auf den Mond fliegen. (lacht.) Aber eine umfassende Zugänglichkeit überall würde ich mir wünschen. Ich möchte mir nicht mehr Fragen stellen müssen wie «Komme ich an diesen Ort?» oder «Ist diese Veranstaltung barrierefrei?». Ich möchte auch nicht mehr von anderen abhängig sein oder sie stören müssen. Das ist es, voilà: Mein Traum ist es, unabhängig zu sein! Aber ich weiss auch, dass es für mich dafür Grenzen gibt. Deshalb sage ich es mal so: Ich wünsche mir so viel Unabhängigkeit wie möglich.