Medizinische Versorgung – MiGeL

Besteht bei einem Kind ein Geburtsgebrechen, werden die Behandlungskosten in der Regel nicht von der Krankenkasse, sondern von der IV übernommen. Die Verordnung zur Invalidenversicherung schrieb ab 2022 vor, dass sich die IV bei der Vergütung von Mitteln und Gegenständen für die Untersuchung und Behandlung von Geburtsgebrechen bei Kindern an die Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL) der obligatorischen Krankenversicherung zu halten hat. Diese Verordnungsänderung hat im Frühjahr 2023 zu grosser Bestürzung geführt. Nachträgliche Abklärungen des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) haben ergeben, dass die gesetzliche Grundlage für die Änderung ungenügend war. Ab dem 1. Oktober 2023 sind dank einer erneuten Verordnungsänderung im Einzelfall nun wieder Leistungen und Preise möglich, die von der MiGeL abweichen.

Die Ankündigung der Firma Homecare Medical, dass gewisse Kosten für Behandlungsgeräte und Verbrauchsmaterialien nicht mehr von der Invalidenversicherung (IV) übernommen werden, schockierte im Frühjahr 2023 zahlreiche Eltern von Kindern mit Geburtsgebrechen. Homecare Medical ist ein wichtiger Lieferant von lebensnotwendigen Geräten etwa zur Sauerstoffversorgung. Auch Sauerstoff selber und andere Verbrauchsmaterialien werden bei ihnen bezogen. Bisher hat die IV die Kosten dafür getragen. Eine Verordnungsänderung führte jedoch dazu, dass die IV nur noch Geräte und Verbrauchsmaterialien gemäss der Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL) finanzierte, die von der obligatorischen Krankenversicherung vorgegeben wird. Dadurch sollten überhöhte Tarife vermieden werden. Eltern sollten die ungedeckten Kosten fortan selbst tragen. War ein Gerät nicht auf der Liste verzeichnet, mussten sie gar alles selber bezahlen.

Ungedeckte Kostenbelastung für die Eltern

Es dauerte nicht lange, bis die ersten Rechnungen in Höhe von mehreren Hundert bis Tausend Franken pro Monat bei den Eltern eintrafen. Aus Sicht von Procap ist klar, dass die Abwälzung der Kostendifferenz zwischen MiGeL und Marktpreis auf die Eltern nicht zulässig ist. Auch im Parlament regte sich Widerstand: Nationalrat Christian Lohr (Mitte/TG) fragte den Bundesrat in einer Interpellation: «MiGeL bei der IV: Zahlen die bereits vorbelasteten Familien die Zeche?» Link öffnet in neuem Fenster. Dies, nachdem der Bundesrat in der Frühlingssession auf Nachfrage von Christian Lohr Link öffnet in neuem Fenster. bestätigt hatte, dass die Vergütung der Kosten medizinischer Massnahmen gemäss MiGeL erfolgt.

Empörung und öffentliche Reaktionen

Die Berichterstattung in der "NZZ am Sonntag" vom 16. April über dieses Thema löste landesweit Empörung aus. Es wurde betont, dass der Streit um die Preise zwischen dem Bund und den Anbietern von Behandlungsgeräten nicht auf dem Rücken bereits belasteter Familien ausgetragen werden dürfe. Weitere Medien, darunter auch die "Tagesschau", griffen das Thema auf und sorgten für Aufmerksamkeit. Dadurch entstand Bewegung in dieser unsäglichen Situation.

Übergangslösung des Bundesamts für Sozialversicherung (BSV)

Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) reagierte schliesslich und verkündete eine vorübergehende Lösung. Während dieser Zeit wurden die Leistungen weiterhin finanziert und den Eltern Unterstützung bei der Suche nach günstigeren Anbietern angeboten. Betroffene Eltern konnten sich für aktuelle Informationen an die Procap-Beratungsstelle wenden. Procap begrüsste die Übergangslösung, äusserte aber auch Bedenken hinsichtlich der langfristigen Versorgungssicherheit.

Langfristige Versorgungssicherheit für Kinder mit Geburtsgebrechen

Neben der Kostendifferenz drohten auch langfristige Versorgungslücken für Kinder mit Geburtsgebrechen. Die MiGeL bietet teilweise keine geeigneten Lösungen für diese Kinder, da die Liste hauptsächlich auf Erwachsene ausgerichtet ist. So fehlen auf ihr etwa gewisse Geräte und es gibt jährliche Limiten beim Verbrauchsmaterial, obwohl Kinder einen höheren Bedarf haben. Ausserdem fehlt bei gewissen lebenswichtigen Geräten, die auf der MiGel-Liste sind, die notwendige Instruktion und ein 24-Stunden-Service. Neue Geräte und Leistungen auf die Liste zu bringen, ist zudem sehr schwierig.

BSV nimmt Verordnungsänderung zurück

Nach Widerstand seitens Politik, Organisationen des Behindertenwesens und der Bevölkerung haben weitere Abklärungen des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) ergeben, dass die gesetzliche Grundlage für die Änderung ungenügend ist. Die Verordnung wurde in der Folge per 1. Oktober 2023 angepasst. In medizinisch begründeten Fällen finanziert die IV jetzt wieder Geräte und Verbrauchsmaterialien, die nicht oder nicht im notwendigen Umfang auf der MiGeL aufgeführt sind.

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