Betreuungsurlaub für Eltern von schwer kranken Kindern

Eltern eines minderjährigen Kindes, das wegen Krankheit oder Unfall schwer beeinträchtigt ist, haben seit Juli 2021 Anspruch auf einen 14-wöchigen bezahlten Betreuungsurlaub, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit für die Betreuung des Kindes unterbrechen. Die Leitplanken, wann eine schwere gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegt, gibt das Erwerbsersatzgesetz (EOG) vor. Leider zeigt die Praxis, dass die Anspruchskriterien in vielen Fällen realitätsfremd sind und viele Eltern, die auf die Betreuungsentschädigung angewiesen wären, ausgeschlossen werden. Hoffnung auf eine Korrektur in den kommenden Jahren bietet nun eine geplante Angleichung der EO-Leistungen. Procap begrüsst den Vorschlag des Bundesrates, fordert aber Anpassungen.

Eine schwere Erkrankung oder ein schwerer Unfall eines Kindes ist eine enorme Belastung für die Eltern. Die Betreuungsentschädigung hilft ihnen, Erwerbstätigkeit und Betreuung zu vereinbaren: Die Eltern haben Anrecht auf 14 Wochen (98 Tage) bezahlten Urlaub, damit sie ihr Kind betreuen können. Innerhalb einer Rahmenfrist von 18 Monaten kann der Urlaub am Stück oder tageweise bezogen werden. Betroffene Eltern können ihre Erwerbstätigkeit zur Betreuung ihres gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindes unterbrechen und haben in dieser Zeit Anspruch auf eine Betreuungsentschädigung. Sind beide Elternteile erwerbstätig, können sie die 98 Urlaubstage frei untereinander aufteilen. 

Anspruchsberechtigungen mit Einschränkungen

Anspruchsberechtigt sind Eltern, die ihre Arbeit für die Betreuung des Kindes unterbrechen müssen und deren Kind «schwer erkrankt» ist und eine der folgenden Voraussetzungen erfüllen: 

  • sie sind angestellt oder selbstständigerwerbend
  • sie arbeiten im Betrieb des Ehemanns oder der Ehefrau mit und beziehen einen Barlohn
  • sie beziehen Taggelder der Arbeitslosenversicherung
  • sie sind wegen Krankheit oder Unfall arbeitsunfähig und beziehen deshalb Taggelder einer Sozial- oder Privatversicherung, sofern sich die Berechnung dieser Taggelder auf ein früheres Einkommen stützt
  • sie sind in einem Arbeitsverhältnis, erhalten aber keinen Lohn mehr, da der Anspruch auf Lohnfortzahlung oder Taggelder ausgeschöpft ist.

(Quelle: EO bei Betreuung von gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindern (admin.ch) Link öffnet in neuem Fenster.)

Damit der Arbeitsausfall der Eltern den Arbeitgebenden entschädigt wird, benötigen Eltern eine ärztliche Bescheinigung, dass das Kind gesundheitlich schwer beeinträchtigt im Sinne des Gesetzes ist. Wann eine schwere gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegt, gibt das Erwerbsersatzgesetz (EOG) – nachfolgend fett dargestellt – vor:

  • Ein Kind gilt als «gesundheitlich schwer beeinträchtigt», wenn es eine einschneidende Veränderung seines körperlichen oder psychischen Zustandes gab: dies kann ein Unfall oder eine Erkrankung sein. Bei Kindern mit Geburtsgebrechen wird aber oft nicht von einer einschneidenden Veränderung ausgegangen, wenn ein Eingriff im Zusammenhang mit dem Geburtsgebrechen steht. Dies, obwohl viele Operationen sehr einschneidende Veränderungen mit sich bringen. So fallen viele Kinder mit Geburtsgebrechen durchs Raster, obwohl sie immer wieder einschneidende Eingriffe erleben und dann stark auf die Betreuung durch die Eltern angewiesen sind.
  • Des Weiteren muss der Verlauf oder der Ausgang dieser Veränderung schwer vorhersehbar sein oder es muss mit einer bleibenden oder zunehmenden Beeinträchtigung oder dem Tod zu rechnen sein. Dies ist ebenfalls eine Falltür, da viele Kinder trotz zwischenzeitlicher Verschlechterung eine gute Prognose haben. Auch würden viele Eingriffe gar nicht erst vorgenommen, wenn nicht mit einer mittel- oder langfristigen Besserung gerechnet werden könnte. Klar erfüllt ist dieses zweite Kriterium ausschliesslich bei Kindern in einer palliativen Situation. 
  • Zudem verlangt das Gesetz, dass beim Kind ein erhöhter Bedarf an Betreuung durch die Eltern besteht und dass mindestens ein Elternteil die Arbeit für die Betreuung unterbrechen muss.

Das eigentliche Ziel wird oft verfehlt

Die Erfahrungen seit Inkrafttreten des Betreuungsurlaubes zeigen, dass viele Familien durch die Maschen eines Gesetzes fallen, welches eigentlich einen dringend notwendigen Fortschritt versprach: die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung. Es liegt beispielsweise keine schwere Beeinträchtigung vor, wenn die Krankheit oder ein Unfall des Kindes zwar einen Spitalaufenthalt oder regelmässige Arztbesuche bedingt und auch den Alltag erschwert, aber mit einem positiven Ausgang gerechnet werden kann. Z. B. nach erfolgter Operation aufgrund einer Hüftfehlstellung (Hüftdysplasie) oder nach einem Unfall. 

Der regelmässige Austausch zwischen Procap und den Kinderspitälern sowie mit betroffenen Eltern zeigt, dass die erwähnten Anspruchsvoraussetzungen vielen Familien mit Kindern mit einer Beeinträchtigung den Zugang zum Betreuungsurlaub verwehren. Zudem interpretieren die Ausgleichskassen die Kriterien nicht gleich und entscheiden deshalb in ähnlichen Fällen ganz unterschiedlich. Eine Analyse der verwendeten Gelder knapp ein Jahr nach Inkrafttreten hat ergeben, dass nur ein Bruchteil des Budgets gebraucht wurde. Das eigentliche Ziel des Betreuungsurlaubes, die Betreuung von Kindern – auch im Spital – zu ermöglichen, wird also sehr oft verfehlt. 

Parlament wird aktiv

Die Politik wurde auf die Vollzugsprobleme beim Betreuungsurlaub aufmerksam. In der Herbstsession 2022 hat der Ständerat und in der Frühlingssession 2023 der Nationalrat eine Motion von Damian Müller (FDP/LU) sehr deutlich angenommen. Basierend auf den bisherigen Erfahrungen fordert Damian Müller eine Betreuungsentschädigung für Eltern, die ihre Arbeit wegen der notwendigen Betreuung unterbrechen und deren Kinder mindestens vier Tage im Spital verbringen müssen. Damit könnte mit einer Anmeldung zur Betreuungsentschädigung auch die Betreuung von Geschwisterkindern sichergestellt werden und Eltern, Ärzteschaft und Arbeitgebende wüssten bei geplanten Eingriffen bereits vor Spitaleintritt, ob der Erwerbsausfall entschädigt wird. Die bestehenden Kriterien würden weiterhin einen Anspruch begründen, sodass auch Eltern von ambulant betreuten Kindern einen Zugang zur Leistung haben. 

Der Bundesrat hat im Dezember 2023 einen Vorschlag zur Umsetzung in Vernehmlassung geschickt.  Procap Schweiz hat den Vorschlag geprüft und an der Vernehmlassung teilgenommen. Obwohl der Bundesrat der Motion nicht direkt folgt, sieht Procap eine Mehrheit der Forderungen der Motion als erfüllt. Für eine tatsächliche Schliessung der heutigen Lücken braucht es aber zwingend Anpassungen. So muss z. B. der Anspruch auf eine Betreuungsentschädigung direkt nach der Geburt möglich und die maximal dreiwöchige Genesung nach dem Spitalaufenthalt in begründeten Fällen verlängerbar sein. Weitere Forderungen sind der Stellungnahme zu entnehmen.

Zur Stellungnahme Link öffnet in neuem Fenster.


Kassensturz-Beitrag vom 21.02.2023 (ab 09:48)

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