Procap Bauberatung: Kreative Lösungen und effiziente Interessenvertretung

Ein Unfall oder eine schwere Krankheit kann einen mitten im Leben treffen. Von einem Tag auf den anderen muss der persönliche Wohnraum neuen Bedürfnissen angepasst werden. Für die dafür notwendige Bauberatung können sich Betroffene direkt an die Procap Fachstellen für Hindernisfreies Bauen wenden – und zwar in der ganzen Schweiz.

Text: Sonja Wenger, Fotos: Markus Schneeberger

Ortstermin in einer ländlich geprägten Gemeinde im Grossraum Aarau: Unser Ziel ist ein etwas älteres Einfamilienhaus am Hang mit einer steilen Zufahrt. Hier lebt das Procap-Mitglied Patrik Grädel seit einigen Jahren zur Miete in einer Zweier-WG. Sebastian Burnell, Leiter der Procap Fachstelle Hindernisfreies Bauen der Kantone Aargau, Solothurn und Basel-Landschaft, klingelt beim Haupteingang. Wir warten jedoch nicht auf einen Summer. Stattdessen gehen wir direkt über eine Treppe zwischen dem Haus und dem Autounterstand hoch auf eine grosszügige Terrasse mit angehängtem Garten und Blick ins Grüne.

Bei der Terrassendoppeltüre, quasi dem zweiten Hauseingang, erwartet uns Patrik Grädel. Aufgrund einer fortschreitenden Muskelerkrankung ist er seit längerem auf einen Rollstuhl angewiesen. Er hat sich bereit erklärt, dem Procap Magazin zu zeigen, welche baulichen Anpassungen in den Wohnräumen und um das Haus gemacht wurden, sodass er weiterhin in seinem gewohnten Umfeld leben kann.

Ziel: Selbstständiges Wohnen zu Hause ermöglichen

Überraschend ist, dass die baulichen Anpassungen, um eine Wohnung oder ein Haus hindernisfrei zu gestalten, oft überschaubar sind. Im Fall von Patrik Grädel handelte es sich im Aussenbereich in erster Linie um einen Treppenlift, der ihn und seinen Rollstuhl zur Terrasse führt, sowie eine grosszügige Rampenzufahrt zur Terrassentüre. In den Innenräumen wurden Dusche und WC barrierefrei gemacht und einige Türschwellen angepasst. Und da sich Patrik Grädels Schlafzimmer im unteren Bereich des Hauses befindet, seit er keine Treppen mehr steigen kann, wurde im Wohnzimmer ein leicht zu bedienender Raumtrenner installiert.

Die Kosten solcher Umbauten werden in der Regel von der IV übernommen. Das übergeordnete Ziel ist es dabei stets, Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Wohnen zu Hause zu ermöglichen. Für Patrik Grädel ist die Unabhängigkeit, die ihm die baulichen Anpassungen ermöglichen, ein wichtiger Bestandteil seiner Lebensqualität. Dank dieser Bewegungsfreiheit kann er seinen Alltag selbst organisieren und braucht nur wenig zusätzliche Unterstützung etwa im Haushalt.

Künftige Anpassungen gleich mitdenken

Patrik Grädels Antrag für Umbaumassnahmen wurde von der IV zur Abklärung an die Procap Fachstelle Hindernisfreies Bauen weitergegeben. Die Baufachleute von Procap treffen sich nach Auftragserteilung mit den betroffenen Personen vor Ort zu einer Besichtigung respektive Beratung und definieren danach, welche baulichen Anpassungen gemäss der Behinderung zweckmässig sind. Manchmal braucht es kreative Lösungen. In den meisten Fällen ist es möglich, bestehende Zugänge, Wohnräume und Nasszellen individuell anzupassen. Dabei gehe es nicht nur darum, eine Wohnung etwa nach einem schweren Unfall rollstuhlgängig zu machen, sagt Sebastian Burnell. «Zu uns kommen auch Menschen mit einer Diagnose wie Multiple Sklerose oder ALS, beides fortschreitende Erkrankungen, welche die Beweglichkeit zunehmend einschränken und immer wieder neue bauliche Anpassungen nötig machen.»

Procap betreibt in vielen Kantonen eine Fachstelle für Hindernisfreies Bauen und beschäftigt ausgewiesene Fachleute. Diese beraten Menschen mit Behinderungen bei baulichen Anpassungen von Wohnraum, aber auch von Arbeits- oder Ausbildungsplätzen. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Kind mit einer Behinderung eingeschult wird. Die Procap Fachstelle klärt dann mit der Gemeinde, der Schulleitung und der IV ab, was baulich nötig und möglich ist und wer welchen Teil der Finanzierung übernimmt.

Mitglieder können sich direkt bei Procap melden

Heute gelangen die meisten Beratungsfälle über die IV zu Procap. «Vielen Betroffenen ist jedoch nicht bewusst, dass sie sich auch direkt an uns wenden können, und zwar schweizweit», sagt Sebastian Burnell. Die Procap Bauberatung steht allen Procap-Mitgliedern unentgeltlich zur Verfügung.

«Die Vorteile einer direkten Kontaktaufnahme liegen darin, dass wir die Bedürfnisse sehr schnell und zielgerichtet abklären können und dann das Umbaugesuch direkt bei der zuständigen IV-Stelle einreichen.» Das spare nicht nur viel Zeit. «Procap vertritt ausschliesslich die Interessen der Betroffenen und definiert die wirklich zweckmässigsten Baumassnahmen. Für uns ist wichtig, dass ein Wohnraum trotz Umbauten wohnlich bleibt und sich den Bedürfnissen der Nutzer*innen anpasst, nicht umgekehrt.» Und stets berücksichtige Procap bei den Anpassungen von Anfang an auch die Möglichkeit einer fortschreitenden Verschlechterung einer Krankheit.

Herausforderung vor allem bei kleinen Wohnungen

Neben den Bauberatungen leisten die Procap Fachstellen für Hindernisfreies Bauen auch wichtige Sensibilisierungsarbeit bei kantonalen Behörden und Gemeinden oder arbeiten in Fachgremien mit, etwa wenn es um die Verbesserung von baulichen Normen geht. «Unsere Bauberatung umfasst nicht nur privaten Wohnraum, sondern auch Mehrfamilienhäuser allgemein, öffentliche Bauten und Anlagen des öffentlichen Verkehrs sowie sonstige Tiefbauprojekte», erläutert Sebastian Burnell.

Inzwischen sind im Rahmen der Bau-Norm SIA 500 die Richtlinien für hindernisfreies Bauen von öffentlich zugänglichen Bauten, Wohnbauten und Bauten mit Arbeitsplätzen sehr gut ausformuliert. Besonders bei Neubauten ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass sie dieser Norm entsprechen respektive dass die Räume gross genug sind, um bauliche Anpassungen gut umsetzen zu können.

Die zurzeit grössten Herausforderungen für die Procap Bauberatung liegen woanders: «Viele unserer Klient*innen müssen mit einer IV-Rente und Ergänzungsleistungen auskommen», sagt Sebastian Burnell. «Sie leben oft in kleinen und älteren Wohnungen mit ein bis zwei Zimmern und Nasszellen mit Badewannen.» Umso wichtiger ist es deshalb laut Burnell, dass sich Menschen mit Behinderungen bei einer Veränderung der Wohnsituation so früh wie möglich beraten lassen. «Eine Behinderung kann einen oft mitten im Leben treffen. Aber dann ist Procap da und hilft.»

Procap Bauberatung

Procap vermittelt Baufachleute, die bei der Anpassung einer Wohnung, eines Arbeits- oder Ausbildungsplatzes beraten. Solche Umbauten werden in der Regel durch die IV finanziert. Auf unserer Website finden Sie Informationen über die baulichen Minimalanforderungen, damit eine Wohnung gut angepasst werden kann.

Für weitere Fragen wenden Sie sich bitte via E-Mail an bauen@procap.ch oder telefonisch unter 062 206 88 50.

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