Jennifer Pauli

Jennifer Pauli lacht in die Kamera
Ein dynamisches Team: Jennifer Pauli mit ihrem Chihuahua Finn.

«Unsere Stimme ist wichtig»

Jennifer Pauli
(*1998) studiert Soziale Arbeit und lebt im Kanton Bern. Sie ist Botschafterin für die Patient*innenorganisation «DEBRA – Hilfe für die Schmetterlingskinder» und dort auch im Vorstand tätig. Ende März war sie Parlamentarierin für einen Tag an der Behindertensession im Bundeshaus.

Interview: Sonja Wenger
Fotos: Markus Schneeberger

Procap: Jennifer Pauli, du warst Ende März eine von 44 Parlamentarier*innen an der Behindertensession. Wie hast du das wahrgenommen?
Jennifer Pauli:
Es war sehr eindrücklich, im Parlamentssaal zu sein und zu wissen, dass unsere Reden in der ganzen Schweiz übertragen werden. Ich habe mich an dem Tag gehört gefühlt. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft Menschen mit Behinderungen wahrnimmt, denn wir werden noch immer oft unterschätzt. Die Behindertensession hat mir das Gefühl gegeben, dass unsere Meinungen, Erfahrungen und Ansichten wichtig sind, dass wir laut werden und mitdiskutieren sollen und dass unsere Stimme wichtig ist. Wir hoffen schon, dass es ein erster Schritt in eine andere Zukunft war. Ich denke auch, dass es bei den Betroffenen selbst etwas ausgelöst hat. Sie haben gesehen, wie es sein könnte. Und wenn sich immer mehr Menschen mit Behinderungen engagieren, werden die wichtigen Themen automatisch in die Diskussionen einfliessen. Die Session hat mir aber auch erneut gezeigt, wie unterschiedlich die Bedürfnisse der Betroffenen sein können.

Hast du ein Beispiel?
Eigentlich müsste man davon ausgehen, dass an einem solchen Anlass auf alle Rücksicht genommen werden kann. Für mich war es aber eine grosse Herausforderung, allerdings aus anderen Gründen als für eine Person im Rollstuhl. So sind Treppen für mich kein Hindernis, das Gedränge in einer Menschenmenge aber schon – wegen meiner verletzlichen Haut. Dies verdeutlicht, dass jeder Mensch mit anderen Barrieren und Gefahren konfrontiert ist.

Du bist ein sogenanntes Schmetterlingskind. Kannst du erklären, was das bedeutet?
Ich habe Epidermolysis bullosa (EB). Das ist eine angeborene, derzeit unheilbare Hauterkrankung. Aufgrund eines Gendefekts wird ein bestimmtes Kollagen vom Körper gar nicht oder nur mangelhaft gebildet. Die Folge ist, dass die einzelnen Hautschichten nicht aufeinander haften. Schon bei einem leichten Schlag kann sich eine Blase bilden. Und bei einer Reibung geht die oberste Hautschicht weg. Das passiert durch normale Alltagsbewegungen, und die Wunden vernarben dann. Jedes Organ, das eine Haut hat, kann von EB betroffen sein, also auch die Augen, der Magen-Darm-Trakt oder die Harnröhre. Das ist bei jeder Person anders. Bei mir sind die Schleimhäute mitbetroffen, also beispielsweise die Speiseröhre. Deshalb werde ich zum grössten Teil mit einer Sonde ernährt.

Du engagierst dich bei der Patient*innenorganisation DEBRA Schweiz.
Die Organisation hat meinen Jahrgang, und ich bin schon lange Mitglied. Meine Mama war während 15 Jahren Präsidentin von DEBRA Schweiz, und ich bin seit 2018 im Vorstand. DEBRA konnte viele Verbesserungen erwirken, etwa bei der Sensibilisierung und der Versorgung. Ich gehöre zur ersten Generation, die wirklich gute Materialien wie innovative Verbände und Pflaster und auch das nötige Wissen zur Verfügung hat. In der Schweiz leben heute circa 200 Menschen mit EB.

Du studierst Soziale Arbeit an der Fachhochschule Olten. Was sind deine Ziele?
Eigentlich wollte ich Radiomoderatorin, Journalistin oder Schriftstellerin werden. Mir gefällt aber, dass ich mit meiner jetzigen Ausbildung in den unterschiedlichsten Bereichen arbeiten und mich gut weiterbilden kann. Es gibt Einsatzmöglichkeiten im Gesundheitswesen in Spitälern, im Psychiatrischen Dienst, auf Gemeinden oder bei Organisationen. Ausserdem kann ich in der Beratung viel von meinen persönlichen Erfahrungen einbringen.

Was bedeutet Procap für dich?
Für mich ist es eine wichtige Anlaufstelle für spezifische Fragen zum Thema Behinderung und Sozialversicherungen. Es ist gut zu wissen, dass es jemanden gibt, der sich auskennt und unparteiisch Auskunft gibt. Die sozialen Angebote nehme ich weniger in Anspruch. Aber Procap ist für mich eine gute Wissensquelle.

Welche Superkraft würdest du dir wünschen?
Mich überallhin teleportieren zu können. Da ich immer viele Dinge für die Pflege mitnehmen und meine Versorgung gewährleistet sein muss, ist es schwierig für mich, auf Reisen zu sein.

Worauf bist du besonders stolz?
Dass ich sehr selbstständig bin und dadurch auch selbstbestimmt wohnen kann. Ich bin meiner Mama sehr dankbar, was sie mir diesbezüglich alles ermöglichte. Sie hat mich schon als Kind vieles ausprobieren lassen und mich nicht in Watte gepackt. Heute habe ich mein eigenes Netz und bin nicht ständig nur auf meine Familie angewiesen. Mithilfe des Assistenzbeitrags der IV und mit Unterstützung durch die Spitex kann ich selbstbestimmt leben.

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