Selina Weibel

Selina Weibel probiert gerne neue Sachen aus. Und sie ist politisch sehr interessiert. «Ich halte die Möglichkeit, abzustimmen, für ein grosses Privileg, das wir haben und das wir nutzen sollten.»

«Ich habe das Geschenk eines eigenständigen Lebens.»

Selina Weibel
(1985*) arbeitet seit 2004 bei Procap Schweiz in Olten. Nach einem Praktikum absolvierte sie bei Procap eine Lehre. Heute arbeitet sie im Bereich Personal und Qualitätssicherung. Sie lebt im Kanton Aargau.

Interview: Sonja Wenger, Fotos: Markus Schneeberger

Procap: Was motiviert dich, am Morgen aufzustehen?
Selina Weibel:
Wenn das Wetter schön ist.

Was ist deine grösste Errungenschaft?
Das Geschenk eines eigenständigen Lebens. Ich habe viele Therapien durchlebt, bis ich es geschafft habe. Aber jetzt lebe ich seit acht Jahren in meiner eigenen Wohnung und führe meinen eigenen Haushalt. Darauf bin ich sehr stolz. Damit hat sich mein Ziel und mein grösster Traum im Leben erfüllt. Niemand sagt mir, was ich machen soll. Ich kann kochen, worauf ich Lust habe – und ich koche sehr gerne. Ausserdem kann mich mein jüngerer Bruder immer besuchen kommen, beispielsweise als er selbst in seiner WG nicht machen konnte, was er wollte.

Wenn du eine Superkraft haben könntest, welche würdest du wählen?
Im Moment würde ich gerne fliegen können wie ein Vogel. Am liebsten würde ich vor der Corona-Pandemie davonfliegen. Es ist für mich eine sehr schwierige Zeit, gerade auch wegen der Maskenpflicht. Ich trage sie zwar in den öffentlichen Verkehrsmitteln, weil mir niemand ansieht, was ich habe, und ich es nicht immer erklären will. Aber es ist schwer.

Hast du ein verborgenes Talent?
Ich glaube nicht, dass man das so sagen kann. Aber ich probiere gerne neue Dinge aus. Einmal habe ich einen Judo-Kurs zur Selbstverteidigung gemacht. Seit einigen Jahren spiele ich Querflöte, auch wenn ich den Besuch des Unterrichts wegen Corona unterbrechen musste. Und sobald es wieder möglich ist, würde ich gerne einmal Snowboardfahren versuchen.

Was sind für dich grosse oder kleine Freuden des Alltags?
Musik hat einen hohen Stellenwert in meinem Leben und gibt mir sehr viel. Ich liebe zum Beispiel Pop, besonders die Musik von Tina Turner. Und Gospelmusik. Deswegen bin ich auch seit über zwanzig Jahren in einem Gospelchor. Ausserdem bin ich politisch sehr interessiert und gehe abstimmen, wann immer mir das möglich ist. Ich halte es für ein grosses Privileg, das wir haben und das wir nutzen sollten.

Worüber wird in unserer Gesellschaft zu viel geredet?
Vielleicht über Corona. Aber was sollen wir machen? Schweigen? Man kann das Thema nicht unter den Teppich kehren. Gleichzeitig habe ich mich oft etwas vergessen gefühlt. Ich hatte beispielsweise oft das Gefühl, dass man für ältere Menschen mehr gemacht hat als für Menschen mit Behinderungen.

Wie erreichen wir mehr Inklusion in unserer Gesellschaft?
Das ist eine schwierige Frage. Vielleicht braucht es noch mehr Sensibilisierung, gerade auch für die unsichtbaren Behinderungen. Aber das ist nicht so einfach, denn wir Betroffenen wollen auch nicht immer darüber reden. Ich wurde von unserem Bereich Bildung und Sensibilisierung einmal darauf angesprochen, ob ich als Moderatorin beim Projekt «Mal seh’n» tätig sein möchte. Das ist dann aber nicht zustande gekommen. Gerade wenn man vor einer Gruppe jüngerer Kinder steht, können die sehr direkt sein, und das muss man dann aushalten. Ich weiss nicht, ob ich dafür schon bereit bin.