Greta Cavin

Greta Cavin: «Mir sitzt der Schalk im Nacken.»

«Procap ist mein Leben»

Greta Cavin
(1932*) lebt in Marin-Epagnier. Sie ist seit der Gründung von Procap Neuchâtel Littoral Mitglied
der Sektion und hat sich vor allem um Besuche bei Mitgliedern, die Organisation von Veranstaltungen und Sterbebegleitung gekümmert.

Interview: Ariane Tripet, Fotos: Markus Schneeberger

Procap: Was begeistert Sie?
Greta Cavin:
Alles! Kunst, Geschichte, Archäologie, Theater, moderne Kunst (mein Onkel war Maler), Natur, Tiere, Medizin … einfach alles! Ich spreche fliessend mehrere Sprachen, was mir schon oft geholfen hat. Ich bin sehr neugierig, mache viele Dinge und würde gerne weitermachen, allerdings bremst mich meine Gesundheit dabei etwas aus.

Seit Kurzem habe ich auch ein Laster. Letztes Jahr haben mir mein Sohn und mein Enkel einen Tablet-Computer «zum Spielen» geschenkt. Ich habe ihnen gesagt, ich sei 89 Jahre alt und werde das ganz sicher nicht mehr verstehen. Am Anfang war es tatsächlich nicht ganz leicht. Aber jetzt spiele ich mit grosser Leidenschaft: Mahjong, Solitaire, Candy Crush … einfach alles (lacht)!

Worauf sind Sie besonders stolz?
Ich bin stolz darauf, mehrere Vereine gegründet zu haben. Mein Mann ist leider sehr früh verstorben. Damals hatte ich Kontakt mit jemandem, der wie ich eine soziale Ader hatte. Zunächst haben wir 1982 den Verein zum Schutz der Arbeitslosen in Neuchâtel (ADCN, Association pour la Défense des Chômeurs du littoral Neuchâtelois) gegründet. Wir haben so viel Not und Hilflosigkeit bei den Arbeitslosen gesehen, dass wir den Verein für psychiatrische Betreuung in Neuchâtel (ANAAP, Association Neuchâteloise d’Accueil et d’Action Psychiatrique) ins Leben gerufen haben. Um Betroffenen täglich Mahlzeiten für einen geringen Beitrag anbieten zu können, haben wir den Espace des Solidarités gegründet (heute La Toque Rouge in Neuchâtel). Dann wollten wir etwas für Weihnachten organisieren, also haben wir den Verein Noël Autrement (Weihnachten anders) lanciert, der ein Weihnachtsfest für alle anbietet. Diese Vereine sind heute fester Bestandteil des lokalen Lebens, und die ANAAP ist unglaublich gross geworden. Parallel dazu war ich stets Teil von Procap, wo wir nachmittägliche Betreuungsangebote, Kaffee und andere Freizeitprogramme organisiert haben.

Auf persönlicher Ebene bin ich sehr stolz darauf, es geschafft zu haben, vom Alkohol wegzukommen, mit dem ich mich während einer schwierigen Zeit getröstet habe. Ausserdem habe ich mit dem Rauchen aufgehört. Ich wollte das hier einmal gesagt haben. Wer weiss, vielleicht gibt es jemandem, der das hier liest, ein wenig Hoffnung!

Was hat Sie zuletzt glücklich gemacht?
Ich bin im Januar 90 Jahre alt geworden, und man hat mich so verwöhnt. Ich hätte nicht gedacht, dass sich so viele Leute an mich erinnern. Ich habe so unglaublich viele Blumen, Nachrichten und Karten bekommen. Darüber habe ich mich sehr gefreut. In meinem Alter sind schon viele verstorben. Ich bin der letzte Dinosaurier (lacht)!

Welche ist Ihre Superkraft?
Ich kann anderen sehr gut zuhören. Ich bin ein sehr sensibler Mensch und habe viel Empathie für andere. Zudem kann ich mich gut in die Situation anderer hineinversetzen, weil auch ich selbst schon sehr viel durchgemacht habe. Andere zu unterstützen, ist für mich wie Medizin, weil ich mich dann auf andere konzentriere und meine eigenen Wehwehchen vergesse. Ausserdem bringe ich andere gerne zum Lachen. Mit der Mittwochsgruppe von Procap haben wir eine Whatsapp-Gruppe, auf der wir uns Nachrichten schicken. Ich verschicke dort immer viele Witze. Mir sitzt der Schalk im Nacken!

Wovon träumen Sie?
Ich träume davon, einmal über das Meer zu fahren. Ich liebe das Wasser – ich bin immerhin ein Kind des Sees. In Zürich habe ich am Seeufer gelebt. Mein Onkel hatte ein Segelboot; da habe ich meine Wochenenden und meine Ferien verbracht. Aber eine Kreuzfahrt auf einer dieser schwimmenden Inseln, die man heute sieht, interessiert mich nicht. Dann schon eher auf einem Segelboot. Ausserdem würde ich gerne reisen.

In kurzen Worten: Was bedeutet Procap für Sie?
Procap ist mein Leben. Oder mein Leben ist Procap. Ich habe hier eine Familie, Zuneigung und Verständnis gefunden. Procap und Yvan (Anmerk. der Red.: Yvan Siggen, Präsident von Procap Littoral Neuchâtelois) waren in schwierigen Augenblicken immer für mich da. Es ist fast wie eine Liebesgeschichte: Ich bin seit Beginn mit dabei, und ich werde bis zu meinem Ende bleiben.

Möchten Sie noch etwas sagen?
Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen zu Organspendern werden, weil damit viele Leben gerettet werden könnten. Ausserdem wünsche ich mir, dass die Menschen wieder etwas aufmerksamer wären, dass es wieder einen Dialog gibt, dass sie mehr miteinander sprechen und sich austauschen. Mit dem Mobiltelefon und seit der Coronapandemie ist das alles verloren gegangen. Es ist eine traurige Zeit.

Und dann möchte ich Procap von Herzen danken – ich wünsche euch ein langes Leben und viel Erfolg. Mein Dank geht auch an Yvan, der mich immer begleitet hat und immer für mich da war. Das berührt mich wirklich sehr. Das ist ein Segen!