Long Covid:
Eine PandemieErkrankung und ihre sozialversicherungsrechtlichen Folgen

Die Covid-19-Pandemie hat unsere Gesellschaft und unser Alltagsleben erschüttert. Mittlerweile ist die grosse Angst vor einer Ansteckung einer gewissen Gelassenheit gewichen, da die meisten Erkrankungen mild verlaufen. Auch die mediale Präsenz ist stark zurückgegangen und das Thema (vorerst) in die zweite Reihe gerutscht.

Leider gibt es aber weiterhin einen nicht unerheblichen Anteil an Covid-19-erkrankten Personen, bei denen nach dem akuten Infektionsverlauf keine vollständige Gesundung eintritt oder eingetreten ist. Sie leiden unter verschiedenen Folgen wie chronischer Müdigkeit, Konzentrationsstörungen oder erheblichen funktionalen Einschränkungen wie beispielsweise Lähmungserscheinungen. Auch wenn viele dieser Restbeschwerden nach einigen Monaten verschwinden, ist die Gesundheit eines Teils der erkrankten Personen weiterhin unterschiedlich stark eingeschränkt. Diese Personen gehen in der Diskussion meist unter und müssen stark dafür kämpfen, von der Gesellschaft und den Behörden wahrgenommen zu werden.

Bisher vor allem psychosomatische Beurteilung

Durch die Beschwerden sind die physischen und psychischen Ressourcen der betroffenen Personen häufig eingeschränkt. Dies betrifft sowohl Menschen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, wie auch solche, die etwa den Haushalt führen oder Kindererziehungsaufgaben ausüben. Vorliegend wird jedoch nur auf die Problematik bei Erwerbstätigen hingewiesen.

Fällt ein*e Arbeitnehmer*in wegen Krankheit und entsprechend attestierter Arbeitsunfähigkeit aus, muss der Arbeitgeber entweder eine Lohnfortzahlung leisten oder er ist krankentaggeldversichert und es werden Krankentaggelder ausgerichtet. Dieser Prozess ist meist unproblematisch.

Schwierig wird es dann, wenn es um die Beurteilung von längerfristigen Beschwerden geht. Da diese noch nicht wissenschaftlich erhärtet sind, werden an Long Covid erkrankte Personen häufig auf einer psychosomatischen Schiene beurteilt. Da die Beschwerden aber sehr vielfältig sein können, ist eine ausschliesslich psychosomatische Beurteilung nicht in jedem Fall angebracht. Dennoch ist dies bisher die gängige Praxis – mit der Folge, dass die Beschwerden häufig infrage gestellt oder nicht anerkannt werden.

Nach sechs Monaten wird es kritisch

Wenn nach sechs Monaten Arbeitsunfähigkeit noch keine Besserung besteht, muss eine IV-Anmeldung gemacht werden. Die Frage stellt sich dann, ab welchem Zeitpunkt eine berufliche Wiedereingliederung möglich ist. In vielen Long-Covid-Fällen ist aber gerade eine solche Eingliederung nach einem halben Jahr noch nicht möglich. In diesen Fällen prüft die IV nach Ablauf eines Jahres den Anspruch auf eine Invalidenrente. Aufgrund der unklaren Beschwerden wird jedoch vielfach ein Gutachten erstellt, das nur die psychiatrischen/psychosomatischen Bereiche abdeckt und abklärt. Und meistens reicht die in einem solchen Verfahren attestierte Arbeitsunfähigkeit für eine zumutbare Arbeit nicht oder kaum aus für eine Rentenzusprechung. In der Folge bleiben die Betroffenen ohne finanzielle Absicherung zurück.

Die wissenschaftliche Akzeptanz lässt auf sich warten

Besser gestellt sind Personen, die sich nachweislich bei der Arbeit mit dem Virus angesteckt haben. Dies ist aber beispielsweise nur bei Pflegefachleuten der Fall, die auf einer Covid-19-Station in einem Spital arbeiten und sich höchstwahrscheinlich dort angesteckt haben. Dann werden die Beschwerden klar als sogenannte Berufskrankheit behandelt. Beteiligt ist dabei die Suva als obligatorische Unfallversicherung, die schweizweit für Berufskrankheiten zuständig ist. Die Versicherungsleistungen der Suva sind gut.

Dennoch fallen noch immer viele Personen durch die grossen Maschen des sozialen Netzes. Long Covid ist, anders als die Covid-19-Erkrankung, noch nicht in der Gesellschaft und vor allem nicht in der Versicherungswirtschaft angekommen. Hoffnung machen aber die Entwicklungen in der medizinischen Forschung, in der die Long-Covid-Erkrankung immer differenzierter betrachtet wird. Zunehmend verschwindet das bisher klassische Bild einer psychosomatischen Erkrankung. Es braucht aber Geduld, bis diese Erkenntnisse wissenschaftlich akzeptiert sind und somit auch juristisch zur Anwendung kommen.

Martin Boltshauser
Leiter Rechtsdienst