Teilrevision Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG)

Menschen mit Behinderungen sind im Alltag vielfach mit Diskriminierung konfrontiert: Bei der Arbeit, beim Wohnen, im Verkehr, beim Ausüben ihrer politischen Rechte und bei existenziellen Dienstleistungen wie der Gesundheitsversorgung oder dem Bankenwesen. Anfang 2023 kündigte der Bundesrat an, dass er die Revision des Behindertengesetzes (BehiG) jetzt angeht. Menschen mit Behinderungen sollen endlich rechtlich besser vor Diskriminierung geschützt werden. Der Bundesrat hat das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) damit beauftragt, Änderungen im BehiG vorzubereiten. Jetzt liegen sie vor – und enttäuschen mehrheitlich. Procap verlangt Anpassungen. 

Die Probleme sind erkannt – so der Eindruck Anfang 2023, als der Bundesrat verkündete, er wolle die Rechte der nahezu zwei Millionen Menschen mit Behinderungen in der Schweiz (zu ihnen zählen auch viele ältere Menschen) stärken. So schrieb er etwa: «Menschen mit Behinderungen sind in ihrem Alltag nach wie vor benachteiligt. Sie stossen beim Zugang zum Arbeitsmarkt und im Arbeitsumfeld auf Hürden, etwa durch Vorurteile im Bewerbungsverfahren oder Arbeitsinstrumente, die nicht barrierefrei sind. Viele zentrale Dienstleistungen etwa in der Gesundheitsversorgung oder dem Bankwesen sowie viele Beratungsangebote, sind für Menschen mit Behinderungen nur eingeschränkt zugänglich.»

Folglich hat der Bundesrat versprochen, im Rahmen der BehiG-Revison dafür zu sorgen, dass Menschen mit Behinderungen besser gegen Diskriminierung geschützt sind. Er hat das EDI beauftragt, bis Ende 2023 Gesetzesänderungen vorzubereiten. Dabei hat der Bundesrat Eckwerte vorgegeben. So sollen Arbeitgebende verpflichtet werden, Gleichstellungs-Massnahmen umzusetzen und private Dienstleister jeder Art sollen dafür sorgen müssen, dass Menschen mit Behinderungen ohne erschwerende Bedingungen Zugang haben.

Auch beim Wohnen soll es endlich Verbesserungen hin zu mehr Selbstbestimmung geben und die aktive Partizipation am gesellschaftlichen und politischen Leben soll besser ermöglicht werden. Analysiert werde dabei auch die umfassende Beistandschaft, denn, so erkennt es auch der Bundesrat: «Sie beschränkt die Handlungsfähigkeit und damit auch die Autonomie der betroffenen Person stark.»

Reaktion auf langjährige Kritik

Mit der geplanten Gesetzesrevision reagiert der Bundesrat auf langjährige Kritik der Behindertenverbände.

Procap begrüsst es sehr, dass Menschen mit Behinderungen nun endlich auch in privaten Arbeitsverhältnissen besser vor Diskriminierung geschützt werden sollen – entsprechende Bestimmungen gab es bisher erst für den Bund als Arbeitgeber. Auch dass private Unternehmen voraussichtlich ihre Dienstleistungen anpassen müssen zum Schutz gegen Diskriminierung, lässt hoffen. Procap ist ausserdem erfreut darüber, dass die gesetzliche Anerkennung der Gebärdensprachen Teil der Revision sein wird, denn das ist für die rund 10'000 gehörlosen Personen in der Schweiz eine zentrale Voraussetzung für den Zugang zu Arbeitsmarkt, Gesundheitssystem, Bildung oder Kultur, wie der Dachverband Inclusion Handicap bereits in seiner Stellungnahme zum Auftakt der Teilrevision des BehiG Anfang Jahr schrieb.

Vorschläge enttäuschen

Zusammen mit den anderen Behindertenverbänden wartete Procap gespannt auf die konkreten Vorschläge des EDI. Jetzt liegen sie vor. Link öffnet in neuem Fenster.Inclusion Handicap schreibt in einer ersten Reaktion: «Ein starkes Behindertengleichstellungsgesetz sieht anders aus», die Vorlage enthalte nur einen Bruchteil der notwendigen Anpassungen. Was fehlt sind beispielsweise Gesetzesartikel zur freien Wahl der Wohnform, ebenso Vorgaben für Assistenzen – zwei klare Forderungen der Inklusionsinitiative.

Im Vernehmlassungsprozess kämpft Procap jetzt für notwendige Anpassungen im BehiG-Gesetzesentwurf. Auch die tatsächliche Gleichstellung auf Verfassungsebene, der verbindliche Gleichstellungs-Auftrag an die Kantone und die Finanzierung von Assistenzen und Hilfestellungen bleiben wichtige Forderungen – hier liegen zurzeit alle Hoffnungen auf der Inklusionsinitiative.