Jonas Vögeli

Porträtfoto der Frohnatur Jonas Vögeli

«Ich verstehe, wie man sich fühlt, wenn es irgendwo nicht weitergeht»

Jonas Vögeli 
(*2004). Seit rund einem Jahr darf Procap auf die Stärken von Jonas Vögeli zählen. Der 20-Jährige aus Bubendorf absolviert eine KV-Lehre im Hauptsitz in Olten. Seine herzliche Art schätzen nicht nur die Mitarbeitenden, sondern kriegen auch die Mitglieder am Empfang und am Telefon zu spüren. Aufgrund einer sehr seltenen Krankheit muss Jonas sich immer wieder gewissen Barrieren stellen.

Interview Cynthia Mira Fotos Markus Schneeberger

Procap: Jonas, wie erlebst du deine KV-Lehre bei Procap? 

Jonas Vögeli: Ehrlich gesagt war das KV zwar nie mein Traumberuf, und meine angefangene Schreinerlehre musste ich wegen meiner Krankheit aufgeben. Nun bin ich aber glücklich, diese interessante Ausbildung bei Procap zu machen. Die Arbeit erlebe ich als vielseitig und sehr angenehm. Besonders betonen möchte ich den wertschätzenden Umgang miteinander. Ich bin meiner Jobcoachin der Sibu (Schweizerische Fachstelle für Sehbehinderte im Beruflichen Umfeld) sehr dankbar, dass sie diese Lehrstelle für mich gefunden hat. Ich bin seit einem Jahr hier und arbeite am Empfang. Ab September geht es in die Abteilung Reisen und Sport. Darauf freue ich mich und bin ich sehr gespannt. 

Wie barrierefrei empfindest du deinen Alltag auf der Arbeit?

Ich wüsste nicht, was man besser machen könnte. Technisch habe ich die Unterstützung, die ich brauche. Mit Spezialgeräten kann ich beispielsweise bei wichtigen Dokumenten mit dem Lesegerät den Kontrast anpassen und Texte vergrössern. Am Computer arbeite ich mit einer Sprachausgabe und bediene mehrheitlich mit Tastenkombinationen. Die IV hat hier vieles möglich gemacht. Wichtig ist mir aber auch ein allgemeines Verständnis. Es reicht schon, wenn jemand sagt: «Ach so, ja klar, dann brauchst du für eine Aufgabe einfach etwas länger.» Bei Procap spürte ich dieses Entgegenkommen von Anfang an. Äusserlich sieht man mir meine Einschränkungen kaum an, vielleicht abgesehen von den Hörgeräten. 

Magst du erzählen? Was hast du für eine Einschränkung? 

Ich habe eine sehr seltene angeborene Mitochondrien-Erkrankung, das Kearns-Sayre-Syndrom, die nicht therapierbar ist und bei allen Betroffenen anders verläuft. Ab dem Kindergarten machte sich die Krankheit mit Seheinschränkung, später mit Höreinschränkung, Wachstumsstörung und Herzrhythmusstörungen bemerkbar. Seither lebe ich mit einem Herzschrittmacher. Da die Krankheit fortschreitend ist, bleibt der weitere Verlauf ungewiss. Im Alltag beeinträchtigt mich die Seheinschränkung am meisten ein. Es ist schwierig zu beschreiben. Ich sehe zwar nahezu 100 Prozent, aber in der Mitte habe ich mehrere Gesichtsfeldausfälle. Zum Beispiel verschlucken diese Ausfälle Buchstaben, Wörter oder das Mauszeichen auf dem PC. Wenn man mir hingegen zeigt, wo das Zeichen ist, dann kann ich den Fokus dorthin lenken und es sehen. Dazu kommt die Nachtblindheit, die mir bei wenig Licht die Sicht erschwert.

Auf welche Barrieren stösst du ausserhalb deines Berufslebens?

Es braucht mit diesen Einschränkungen immer wieder Umwege. Es geht ja dann schon irgendwie, aber genau dieser Satz ist so zeit- und energieraubend. Man merkt die Andersartigkeit auch dann, wenn man bei gewissen Themen nicht mitreden kann. Meine Kollegen lernen Autofahren oder reden über das Militär. Das sind Dinge, die bei mir ausgeschlossen sind. Und die sozialen Medien kann ich zwar nutzen, aber die Bilder und Videos sind meistens viel zu schnell, um überhaupt irgendetwas zu sehen. Bei vielen Posts ist dann halt einfach der Ton schön (lacht). 

Das Thema Umwege gilt auch für dein Hobby, oder? 

Ja, das wandelt sich auch gerade wieder. Ich habe bisher immer viel mit den Händen gearbeitet, aber das ist echt mühsam geworden mit der Seheinschränkung. Das ist einerseits schade und bringt zum Nachdenken. Andererseits sucht man sich dann halt ein neues Hobby. Ich habe mir Anfang Jahr eine Kamera gekauft. Mich fasziniert die Fotografie, und das möchte ich noch etwas testen, solange es geht. Es ist zwar auch hier nicht einfach, weil man bei dem kleinen Bildschirm mit dem Blickfeld kaum Ausweichmöglichkeiten hat. Die Schrift in den Einstellungen ist meistens zu klein. Auch hier habe ich mir ein Hobby ausgesucht, bei dem man visuelle Fähigkeiten braucht. Aber ich habe auch keinen so grossen Anspruch an meine Bilder. Mir macht es einfach Spass, mit Licht und Unschärfe zu spielen. Und dann hat mich eine Kollegin zum Ukulelespielen überredet. Mal sehen, wo das hinführt. 

Denkst du, dass dir deine Erfahrungen im Austausch mit den Mitgliedern helfen?

(Überlegt). Es kann schon sein, dass ich mir eine Behinderung vielleicht besser vorstellen oder mir ausdenken kann, welche Einschränkung das mit sich bringt. Ich verstehe, wie man sich fühlt, wenn es irgendwo nicht weitergeht und man deshalb etwas anderes suchen muss. Ich glaube aber, dass Empathie grundsätzlich ein Teil meiner Persönlichkeit ist. 

Das glaube ich sofort. Und welche weiteren Stärken, würdest du sagen, zeichnen dich aus?

Ich bin sicher freundlich und herzlich. Was ich zudem oft gespiegelt bekomme, ist mein Optimismus. Ich bin einfach sehr lebensfreudig und freue mich über viele Dinge im Leben. 

Und was findest du an der Arbeit bei Procap besonders schön? 

Es berührt mich immer, wenn Personen am Telefon den Tränen nahe sind und man merkt, wie stark sie im Leben auf Organisationen wie Procap angewiesen sind. Und es ist schön, dass wir hier Hilfe anbieten können. Man spürt, dass sie dankend angenommen wird.