George Marti

George Marti spielt Posaune
George Marti vermittelt das Rhythmus- und Taktgefühl über das Gehör. Die Anstellung an der Musikschule der Stadt Zug ermöglichten ihm der Rektor Mario Venuti, sein einstiger Musiklehrer Roland Dahinden und der Zuger Regierungsrat.

«Träume entwickeln sich aus der Vielfalt»

George Marti
(*1993). Seit 2006 ist George Marti mit zahlreichen Konzerten als Musiker und Musikpädagoge in der ganzen Schweiz präsent. Er beeindruckt mit einer grossen Instrumentenvielfalt. Sein Repertoire reicht von Posaune und Alphorn bis zu Klavier, Jazz und Improvisation. Neben Auftritten bei Kulturveranstaltungen und in Kirchen gibt er seinen Zugang zur Musik seinen Schüler*innen an der Musikschule der Stadt Zug weiter. George Marti ist blind. Im Laufe seiner eindrucksvollen Karriere wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet.

Interview Cynthia Mira Fotos Markus Schneeberger

Procap: George, du sagst, Musik sei für dich mehr als ein Beruf. Was meinst du damit?

George Marti: Die Musik weist mir bis heute den Weg durch mein Leben und ermöglicht mir, mich zu integrieren und mit der Welt in Verbindung zu stehen. Klänge und die Improvisation waren mir schon als Kind wichtig. Ich habe siebenjährig mit Posaune angefangen. Ich höre und spiele alle Musikrichtungen und liebe die Vielfalt. Mir geht es nicht um ausverkaufte Konzerthäuser. Klar gehören Auftritte dazu, aber die Musik ist meine unbewusste und intuitive Begleitung im Leben. Ich schule mit ihr auch die anderen Sinne.

Was bedeutet dir die Festanstellung an der Musikschule der Stadt Zug?

Hier habe ich alles, was ich für die Integration im Arbeitsmarkt brauche. Ich finde an meinen Arbeitstagen gut eingerichtete Unterrichtszimmer vor und kann darin sicher, vielfältig und kreativ arbeiten. Ich unterrichte Alphorn und Posaune und habe verschiedene Improvisationskurse. Gleichzeitig leite ich als Co-Lehrperson zwei Jazz-Workshops. Teamwork und der Austausch im Kollegium sind mir sehr wichtig. Die Zusammenarbeit ist sehr wertschätzend und lösungsorientiert.

Was ist dir wichtig, den Schüler*innen und auch den Erwachsenen, die du unterrichtest, mitzugeben?

Mir ist wichtig, dass sie Freude an der Musik haben und ihre eigenen Ziele verfolgen. Wenn jemand spielt oder zum ersten Mal frei improvisiert, spüre ich sofort die Energie. Musik verbindet uns Menschen, egal, ob Jung oder Alt, ob Anfänger oder Profi. Ich höre die Entwicklung, den Mut und das Lachen meiner Lernenden. Das ist das Schönste.

Inwiefern gestaltet sich der Unterricht anders als bei einer sehenden Lehrperson?

Ich kann sehr genau zuhören und auf die Musik reagieren. Ich bringe keine Mimik oder Gestik ein, dafür haben die Schüler*innen meine volle Aufmerksamkeit und ich ermutige sie, ihre eigene Klangwelt zu entdecken. Natürlich erhalten die Musizierenden auch bei mir Noten, doch bringe ich ihnen vieles akustisch bei. Sie lernen bei mir unter anderem das Instrument mittels Intuition und Improvisation kennen. Und für mich bedeutet Vielfalt, dass jeder Mensch auch etwas Eigenes mitbringen kann. Nur so entsteht echte Inklusion und eine gute Zusammenarbeit. Ich habe beispielsweise nie gesehen, wie man beim Sprechen die Hände bewegt oder wie ein Lächeln aussieht. Deshalb bin ich dankbar, dass man auch mich schätzt und annimmt, wie ich bin.

Das heisst, du bist seit deiner Geburt blind?

Nicht ganz. In meinen ersten Lebenswochen passierte ein medizinischer Fehler, was zu einer Ablösung der Netzhaut führte. Geblieben ist mir eine Sehstärke von fünf Prozent. Man lernt damit umzugehen und zu verstehen, dass man anders ist. Blind sein ist eine subjektive Erfahrung, man kennt es nicht anders.

Wenn du einem jungen blinden Musiker einen Rat geben könntest, welcher wäre das?

Im Leben ist das Dranbleiben wichtig, und es ist essenziell, dass man sich wohlfühlt. Man soll seinen Weg gehen, sich authentisch präsentieren und den Menschen so begegnen, wie man ist. Unabhängig von allem ist es wichtig, viel Zeit mit dem Instrument zu verbringen.

Das heisst, wie viele Stunden pro Tag?

Da gibt es keine pauschale Antwort. Musik ist etwas Spezielles. Es lässt sich mit einem Spitzensportler vergleichen, der ja auch täglich sein Training absolviert. Während meines Masterstudiums in Boston und Valencia habe ich mindestens sechs Stunden pro Tag geübt. Doch der Campus war bis Mitternacht und vor Examen bis morgens um vier Uhr offen, und wir haben fast nur gearbeitet, Tag und Nacht. Es war eine ganz besondere und intensive Zeit.

Gibt es musikalische Träume oder Ziele, die du noch erreichen möchtest?

Ich würde gerne so weitermachen und bin immer offen für Neues. Träume entwickeln sich aus der Vielfalt und dem Umfeld. Ich wünsche mir noch mehr Struktur im Alltag. Mein Traum wäre es, nach der abwechslungsreichen Studienzeit nun hier in der Schweiz in einem Team regelmässig zu arbeiten, Ausserordentliches zu erreichen und davon leben zu können. Aktuell habe ich noch mehrere Arbeitgeber, wie das bei Musiker*innen oft der Fall ist.

Wo liegen deine Stärken?

Ich bin vielseitig, anpassungsfähig und bringe mich gerne ein. Vielfalt ist mir im Alltag und in der Musik sehr wichtig. Zudem informiere ich mich gerne über das Weltgeschehen, liebe die Natur und das Kochen. Ich geniesse die Abwechslung.

Und was bedeutet dir Procap?

Den Verband kenne ich aufgrund meiner Situation. Ich bin froh und dankbar, dass so viel von Procap kommt. Es geht nicht nur um die individuelle Hilfe, sondern auch um das Aufmerksammachen, dass auch Menschen mit Einschränkungen etwas leisten und gesellschaftlich vieles bewirken können. Wir alle profitieren, wenn wir uns gegenseitig ernst nehmen und unsere individuellen Stärken und Ressourcen einbringen.