Rückschau auf die Herbstsession 2025

Mindestens viermal im Jahr beraten National- und Ständerat über politische Geschäfte in den Sessionen des Eidgenössischen Parlaments. Der Bereich Sozialpolitik von Procap Schweiz kämpft dafür, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu stärken und dafür zu sorgen, dass politische Entscheidungen und Gesetze den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen gerecht werden. Die Sessionen bedeuten für den Bereich eine besonders intensive Zeit. Vor, während und nach jeder Session begleitet das Team die traktandierten Geschäfte eng und steht im Austausch mit Betroffenen, Parlamentarier*innen und weiteren Organisationen. Seit Anfang des Jahres informiert Procap ihre Mitglieder nach jeder Session per E-Mail über die Ergebnisse.

Text Miriam Hürlimann und Florian Eberhard Fotos iStock, Shutterstock

Als Session bezeichnet man den Zeitraum, in dem das Parlament für Beratungen zusammenkommt. National- und Ständerat schaffen, ändern oder beschliessen über Gesetze und entscheiden über Verfassungsänderungen, bevor Letztere dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Die ordentlichen Sessionen finden viermal pro Jahr während dreier Wochen statt: die Frühjahrssession im März, die Sommersession im Juni, die Herbstsession im September und die Wintersession im Dezember. Falls die Geschäfte nicht innerhalb dieser vier ordentlichen Sessionen abgearbeitet werden können, steht es beiden Räten unabhängig voneinander frei, Sondersessionen zu beschliessen. 

Auch im Jahr 2025 beraten National- und Ständerat zahlreiche wichtige Geschäfte, die Menschen mit Behinderungen betreffen und für die sich Procap Schweiz auf politischer Ebene einsetzt. Seit der Frühjahrssession 2025 informiert Procap ihre Mitglieder am Ende einer Session via E-Mail über die Ergebnisse. Dies mit dem Ziel, die Mitglieder über die politischen Aktualitäten auf dem Laufenden zu halten und aufzuzeigen, wie sich Procap auf politischer Ebene für die Inklusion und die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzt. 

Vom 8. bis 26. September 2025 fand die Herbstsession statt. Nachfolgend informieren wir Sie nun auch im Rahmen des Procap Magazins über die Ergebnisse der vergangenen Session. Die Aktualität der Geschäfte entspricht dem Stand bei Sessionsende. Einige davon werden aktuell bereits weiterberaten.

Kita-Vorlage: Ständerat ermöglicht Schliessung von Angebotslücken, lässt aber Kinder mit hohem Betreuungsbedarf im Stich

Der Ständerat hat in der Herbstsession im Rahmen der Kita-Vorlage 21.403 «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung» den Programmvereinbarungen zugestimmt – ein wichtiger Schritt für die Schliessung der Angebotslücken in der familienergänzenden Betreuung, auch für Kinder mit Behinderungen. Gleichzeitig hat er jedoch die Erhöhung der Betreuungszulagen für Kinder mit Behinderungen auf maximal Faktor 3 abgelehnt. Damit bleiben gerade jene Kinder und Familien, die am dringendsten auf Unterstützung angewiesen sind, auf der Strecke.

Wichtiger Fortschritt bei den Programmvereinbarungen

Procap Schweiz begrüsst, dass der Ständerat den Programmvereinbarungen zugestimmt hat. Mit ihnen kann der Bund die Kantone gezielt beim Aufbau von Betreuungsplätzen unterstützen und bestehende Lücken schliessen. Das ist dringend nötig, insbesondere für Kinder mit Behinderungen, die vielerorts noch gar keinen Zugang zu familienergänzender Betreuung haben.

Verpasste Chance bei den Betreuungszulagen

Enttäuscht zeigt sich Procap über das knappe Nein des Ständerats zum Antrag auf Betreuungszulagen bis zum maximal dreifachen Betrag. Eine Begrenzung auf den maximal zweifachen Betrag verkennt den Bedarf einiger Kinder und setzt zudem ein problematisches Signal an die Kantone, wo behinderungsbedingte Mehrkosten weiterhin erheblich hoch bleiben und zusätzliche kantonale Beiträge unabdingbar sind.

Nächster Schritt: Differenzbereinigung

Im Gegensatz zum Ständerat hatte sich der Nationalrat im Frühjahr sowohl für die Programmvereinbarungen als auch für die erhöhten Betreuungszulagen ausgesprochen. 
Damit geht die Vorlage zurück in den Nationalrat zur Differenzbereinigung. Procap Schweiz wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass alle Kinder – auch jene mit hohem Unterstützungsbedarf – Zugang zu familienergänzender Betreuung erhalten und Eltern ihre Erwerbstätigkeit nicht aufgeben müssen.

Procap begrüsst Annahme der Motion Roduit durch den Ständerat – erleichterte Wiedereingliederung von Menschen mit IV-Rente 

Procap Schweiz ist äusserst erfreut über die Annahme der Motion 24.4618 von Nationalrat Benjamin Roduit durch den Ständerat, welche ohne Gegenantrag an den Bundesrat überwiesen wurde. Nach der Annahme durch den Nationalrat im Mai dieses Jahres beschloss auch der Zweitrat die Zustimmung zu der Motion. Der Vorstoss bietet die Möglichkeit, einen zentralen Fehlanreiz im heutigen IV-System zu beseitigen, und stärkt die Chancen auf eine berufliche Wiedereingliederung für Menschen mit einer IV-Rente. 

Wer eine IV-Rente bezieht und eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder diese ausweiten möchte, tut dies oft nicht – aus Angst, bei einem Rückfall ohne Job und ohne Rente (und allenfalls ohne Ergänzungsleistungen) dazustehen. Die Übergangsleistung der IV, die genau diese Angst hemmen sollte, bietet den beabsichtigten Schutz nicht. 

Die Motion sieht vor, dass während der dreijährigen sogenannten Schutzfrist bei Bezug einer Übergangsleistung aufgrund eines Rückfalls keine automatische Rentenüberprüfung erfolgt. Das schafft mehr Sicherheit für Betroffene und reduziert die Hemmschwelle für eine Rückkehr ins Erwerbsleben. 

Der Entscheid von National- und Ständerat ist ein Schritt hin zu besseren Rahmenbedingungen für berufliche Teilhabe. Der Bundesrat bietet Hand, das Anliegen in der anstehenden IV-Revision anzugehen. Procap wird die Umsetzung des Anliegens begleiten.

Betreuungsentschädigung für Eltern schwer kranker Kinder: Einstimmiger Entscheid - Ständerat will Lücken im Vollzug schliessen 

Der Bundesrat will die Leistungen der Erwerbsersatzordnung (EO) vereinheitlichen und sie besser den gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen. Dabei soll der Anspruch auf Betreuungsentschädigung auf diejenigen Fälle ausgeweitet werden, in denen ein Kind an mindestens vier aufeinanderfolgenden Tagen hospitalisiert ist. 

Gemäss Gesetzesentwurf des Bundesrats (Geschäft 25.039) haben Eltern jedoch keinen Anspruch auf einen Betreuungsurlaub, wenn der Spitalaufenthalt direkt nach der Geburt erfolgt. Der Ständerat beantragte indes, dass die Betreuungsentschädigung auch beim Spitalaufenthalt eines gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindes direkt nach der Geburt ausgerichtet werden kann. So soll die Präsenz beider Elternteile in prekären Situationen ermöglicht werden. 

Procap ist sehr erfreut, dass der Ständerat die EOG-Vorlage angenommen hat, die Lücken im Vollzug schliessen will und die Präzisierung seiner Kommission übernimmt. Im Nationalrat als Zweitrat gilt es sicherzustellen, dass besonders belastete Familien, deren Kind schwer krank zur Welt kommt, tatsächlich Anspruch haben. Wenn Eltern in kurzer Zeit zu Pflege-Expert*innen werden oder sogar von ihrem Kind Abschied nehmen müssen, sollen sie gemeinsam im Spital anwesend sein können. 

Auch Nationalrat für besseren Schutz vor sexuellen Übergriffen

Die Motion von Ständerat Beat Rieder 24.4081 «Das Wiederholen von Sexualstraftaten erschweren» war nach dem Ständerat auch im Nationalrat sehr erfolgreich. Die Motion möchte Menschen mit Behinderungen, Kinder, Patient*innen in Institutionen, im Freizeit- oder Gesundheitsbereich besser vor sexuellen Übergriffen schützen. Personen, die eine entsprechende Arbeit oder Betreuungstätigkeit ausführen, müssen bereits heute mit einem Sonderprivatauszug belegen, dass sie nicht wegen eines Sexualdelikts verurteilt worden sind. Die Motion möchte das Strafregistergesetz nun dahingehend ändern, dass Sonderprivatauszüge auch Auskunft darüber geben, wenn eine Person wegen eines Sexualdelikts bereits erstinstanzlich verurteilt wurde, das Verfahren jedoch noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Damit soll verhindert werden, dass jemand während eines noch laufenden Verfahrens problemlos andernorts als Pfleger*in arbeiten, Lager mit Kindern leiten oder auf eine andere Art mit vulnerablen Personen in Kontakt kommen kann. Denn von der Begehung eines Sexualdelikts bis zur rechtskräftigen Verurteilung durch das Bundesgericht vergehen oft mehrere Jahre. In dieser langen Zeit gibt der Sonderprivatauszug heute keinerlei Hinweise darauf, dass von der betreffenden Person eine Gefahr ausgehen könnte. 

Procap ist sehr erfreut über das klare Bewusstsein darüber, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht und der Schutz vor sexuellen Übergriffen höher gewichtet werden muss. Nun ist der Ball beim Bundesrat, er muss dem Parlament innert zwei Jahren einen Umsetzungsvorschlag vorlegen. 

Stimmrecht für Menschen mit Behinderungen

Der Ständerat hat die Motion 24.4266 für gleiche politische Rechte für Menschen mit Behinderungen an den Bundesrat überwiesen. Nach dem Nationalrat sprach sich somit auch der Zweitrat für das Stimmrecht für Menschen mit Behinderungen aus. Eine wichtige Forderung der Behindertensession 2023 rückt somit einen Schritt näher. Nun ist es am Bundesrat, eine Vorlage zur Verfassungsänderung auszuarbeiten. Das letzte Wort hat danach das Volk.

Existenzsicherung von Menschen mit IV-Rente: Nun ist der Bundesrat am Zug

Procap ist sehr erfreut über die Annahme des Postulats 25.3534 «Existenzsicherung von Menschen mit IV-Rente: Für eine zielgerichtete Lösung» durch den Nationalrat. Mit dem Postulat wird der Bundesrat beauftragt, verschiedene Massnahmen zu prüfen, mit denen die Existenz von Bezüger*innen einer IV-Rente nachhaltiger gesichert werden kann. Dabei sollen Ansätze über die IV und über die Ergänzungsleistungen sowie weitere Massnahmen einbezogen werden. Wichtig dabei ist, dass Massnahmen bei der IV nicht zu Kürzungen bei den Ergänzungsleistungen führen. 

Als Nächstes arbeitet der Bundesrat einen Bericht dazu aus. Procap setzt sich – nach dem Ja zur 13. AHV-Rente – auch weiterhin für eine Gleichstellung der Leistungen von AHV- und IV-Rentner*innen ein. 

Weitere Geschäfte in der Herbstsession, die Menschen mit Behinderungen betreffen

Wir begrüssen die Annahme folgender Geschäfte:

  • Die Anpassung des Unfallversicherungsgesetzes (UVG) zur Schliessung einer Rechtslücke bei Rückfällen und Spätfolgen, Geschäft 24.056: Procap begrüsst, dass Taggeldzahlungen der Unfallversicherung auf diejenigen Fälle ausgeweitet werden, in denen eine Erwerbsunfähigkeit als Spätfolge oder Rückfall eines Unfalls auftritt, der sich vor dem 25. Altersjahr und ohne UVG-Versicherungsschutz ereignet hat. 
  • Die Motion von Falkenstein, 23.3808, fordert den Bundesrat auf, Massnahmen zur Beschleunigung von IV-Verfahren zu ergreifen und die finanzielle Absicherung der Versicherten während des Verfahrens sicherzustellen. Procap begrüsst die Annahme der Motion durch das Parlament und wird die Umsetzung begleiten. 
  • Die Motion Hess, 24.4452, fordert eine nationale Strategie zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Menschen mit ME/CFS und Long Covid. Die Annahme der Motion durch das Parlament ist ein wichtiger Schritt hin zu einer schweizweit besseren medizinischen Versorgung für Betroffene.

Wir bedauern seitens Procap folgende Entscheide sehr: 

  • Die Annahme der Motion Müller, 25.3713, zur Schuldentilgung der IV gegenüber der AHV mit überwiegend ausgabenseitigen Massnahmen ist aus Sicht von Procap Schweiz bedauerlich. Einerseits hat der Bundesrat bereits einen Auftrag, einen Plan zum Umgang mit den 10 Milliarden Schulden der IV bei der AHV vorzulegen. Dies wird im Rahmen der nächsten IV-Revision erwartet. Andererseits ist es unrealistisch, die Schulden vorwiegend mit Einsparungen auf der Ausgabenseite zu tilgen. Weitgehende ausgabenseitige Massnahmen würden einen Kahlschlag bei den Leistungen bedeuten und die Kosten in die Sozialhilfe verlagern. Für Procap ist klar: Die Schuldentilgung darf nicht zulasten von Menschen mit Behinderungen gehen.
  • Die Ablehnung der Motion Hurni, 24.3226, für nationale Zentren zur unabhängigen medizinischen Begutachtung ist eine verpasste Chance, in mehr Qualität bei den medizinischen Gutachten zu investieren und gleichzeitig dem Mangel an sachverständigen Personen zu begegnen. Dieser führt bei IV-Verfahren zu langen und belastenden Wartezeiten. 
  • Die knappe Ablehnung der Motion der SGK-N zu den Härtefällen am Arbeitsplatz, 25.3007, für zusätzliche Unterstützung durch Dienstleistungen Dritter ist ebenfalls bedauerlich. Die Motion forderte eine verstärkte und gezielte Unterstützung durch Dienstleistungen wie Gebärdensprach-, Schriftdolmetschung, Vorlesehilfe oder Transportdienste, um die Eingliederung zu ermöglichen. 

Nächste Session

Die Wintersession wird vom 1. bis 19. Dezember 2025 stattfinden. Wie gewohnt werden wir Sie über die Ergebnisse per E-Mail informieren. 

Falls Sie die E-Mail bisher nicht erhalten haben, diese künftig jedoch wünschen, schicken Sie uns bitte eine Nachricht mit dem Betreff «Sessionsrückblick» an kommunikation@procap.ch.

Hier finden Sie eine Liste mit weiterführenden Weblinks zu den einzelnen Geschäften.

 

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