Inklusions-Initiative: Kritik am Gegenvorschlag des Bundesrats

Am 25. Juni 2025 präsentierte der Bundesrat seinen indirekten Gegenvorschlag zur Inklusions-Initiative. Leider verfehlt die Vorlage die Erwartungen der Behindertenverbände deutlich. Statt die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen voranzutreiben, bleiben zentrale Punkte wie das selbstbestimmte Wohnen oder ausreichende Unterstützungs- und Assistenzleistungen nicht konkret geregelt. Procap fordert in ihrer Stellungnahme Nachbesserungen.

Zeichnung von Menschen mit verschiedenen Behinderungen
Menschen mit und ohne Behinderung bei der Übergabe des Manifests

Text Miriam Hürlimann Illustration Eugen Fleckenstein Foto Monique Wittwer

Die letzten 20 Jahre haben gezeigt: Ohne klare Ziele, verbindliche Vorgaben und wirksame Kontrolle bleibt die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in der Schweiz auf der Strecke. Genau hier setzt die Inklusions-Initiative an. Sie verlangt von Bund und Kantonen, die UNO-Behindertenrechtskonvention endlich konsequent umzusetzen. Der vom Bundesrat präsentierte indirekte Gegenvorschlag zur Inklusions-Initiative – bestehend aus einem Inklusionsrahmengesetz und Anpassungen im Invalidenversicherungsgesetz (IVG) – bleibt jedoch weit hinter diesen Erwartungen zurück. Problematisch ist zudem, dass sich der Entwurf nur auf IV-Bezüger*innen bezieht – und damit rund drei Viertel der 1,9 Millionen Menschen mit Behinderungen ausschliesst.

Selbstbestimmtes Wohnen bleibt ungenügend verankert

Die Vorlage tut zu wenig, um das selbstbestimmte Wohnen zu stärken. Ein klarer Auftrag an die Kantone zur freien Wahl der Wohnform und zur Finanzierung der nötigen Unterstützung fehlt bislang. Auch die Möglichkeit, den Wohnort frei zu wählen, wird mit dem Inklusionsrahmengesetz weiterhin nicht sichergestellt. Und dies, obschon das Parlament im Frühjahr dem Bundesrat den Auftrag erteilt hat, das Bundesgesetz über die Institutionen zur Förderung der Eingliederung von invaliden Personen (IFEG) zu modernisieren – mit dem Ziel, den Flickenteppich der Kantone abzuschaffen, bestehende Fehlanreize zu beseitigen, ambulante Unterstützungsleistungen zu fördern und Menschen mit Behinderungen auch den Wechsel des Wohnsitzes in einen anderen Kanton zu ermöglichen.

Unterstützungs- und Assistenzleistungen weiterhin unzureichend

Für ein autonomes Leben und die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sind Assistenz, geeignete Hilfsmittel und persönliche Dienstleistungen unverzichtbar – im Alltag wie im Berufsleben. Doch auch hier bleibt der Entwurf vage. Ein verbesserter Zugang zum Assistenzbeitrag, zu Hilfsmitteln oder persönlichen Dienstleistungen in der IV? Fehlanzeige. Für ein selbstständiges Leben von Menschen mit Behinderungen müssten aber genau diese Leistungen ausgebaut werden.

Organisationen fordern Nachbesserungen 

Aus Sicht von Procap, dem Dachverband Inclusion Handicap und weiteren Organisationen von und für Menschen mit Behinderungen stellt der indirekte Gegenvorschlag eine unzureichende Antwort auf die Inklusions-Initiative dar. Die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in der Schweiz erfordert endlich entschlossenes Handeln und einen klaren, umfassenden Plan. Procap Schweiz beteiligt sich an der aktuell laufenden Vernehmlassung. Die Stellungnahme wird auf der Website abrufbar sein. Die Vernehmlassung dauert noch bis zum 16. Oktober 2025.

Weitere Informationen unter:
Medienmitteilung des Bundesrats: tinyurl.com/486v3zrc Link öffnet in neuem Fenster.

Manifest an Parlamentarier*innen übergeben

Am Donnerstag, 12. Juni, setzten Menschen mit und ohne Behinderungen ein klares Zeichen: Organisiert vom Verein für eine inklusive Schweiz, füllte sich der Innenhof des PROGR in Bern bereits ab 9.30 Uhr. Aus allen Landesteilen reisten Menschen mit Behinderungen, Unterstützer*innen und Organisationen an, um gemeinsam das Manifest «Schlüssel zur Inklusion» auf dem Bundesplatz den Parlamentarier*innen zu überreichen.

Angeführt von diesem gemeinsamen Ziel, zog die Gruppe wenig später zum Bundesplatz. Dort verharrten die Teilnehmenden drei Minuten lang in stillem Protest – unter der brennenden Sonne, aber mit klarer Botschaft: «Wir wollen nicht länger überhört werden, wenn es um unsere Rechte geht.» Das stille Statement unterstrich die Bereitschaft zum Dialog und zur aktiven Mitgestaltung – getragen von der Überzeugung, dass Inklusion nur mit der Beteiligung der Betroffenen gelingen kann.

Mit dem symbolischen Schlüssel überreichten die Teilnehmenden ihre Forderungen den anwesenden Parlamentarier*innen – Forderungen, die im angekündigten Inklusionsgesetz berücksichtigt werden sollen. 

Weitere Informationen unter:
Manifest «Schlüssel zur Inklusion»:
inklusions-initiative.ch/schluessel-zur-inklusion Link öffnet in neuem Fenster.

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