Anissa Chanchah

«Man erkennt mich an meiner Art, mich zu kleiden, an meinen Tattoos und meinen Piercings.»

«Studieren mit Behinderung ist möglich»

Anissa Chanchah
(*1992) lebt mit ihrer Mutter im Kanton Waadt. Sie kam mit einer zerebralen Bewegungsstörung auf die Welt und ist seit Geburt Mitglied bei Procap. Sie liebt Geschichte und Geschichten. Sie hat vor kurzem ihr Masterstudium in Geschichte und Anthropologie der Religionen abgeschlossen und ist auf der Suche nach einer Stelle, die ihrer Neugier gerecht wird.

Interview: Ariane Tripet
Fotos: Markus Schneeberger

Procap: Welches Wort beschreibt dich am besten?
Anissa Chanchah: Ausdauernd!

Was begeistert dich?
Ich liebe Geschichte, Film und Theater. Ich habe einen Bachelor in allgemeiner Geschichte und Religionsgeschichte. Ausserdem habe ich einen Master in Geschichte und Anthropologie der Religionen gemacht. Diese Bereiche faszinieren mich sehr. Was Filme angeht, mag ich vor allem Serien, insbesondere Horrorserien über Serienmörder. Das Phänomen Serienmörder fasziniert mich generell sehr. Respektive interessieren mich Menschen, die ein etwas verrücktes Interesse an Serienmördern haben. Was das Theater angeht: Als ich jünger war, habe ich in einem Kurs in Lausanne das Improvisationstheater kennengelernt. Dabei habe ich viel gelernt und an Selbstvertrauen gewonnen. Ausserdem fahre ich jedes Jahr ans Theaterfestival in Avignon. Ich mag solche Strassenfeste sehr.

Worauf bist du besonders stolz?
Auf meinen Master. Es ist mir gelungen, auf fast normale Weise ein Studium abzuschliessen. Für die Dozenten gehört es nämlich nicht zum Alltag, Studierende mit Handicap zu betreuen. Das erste Jahr war schwer. Aber letztlich ist alles gut gegangen. Die Dozenten haben sich angepasst und mich unterstützt. Sie haben verstanden, dass auch an der Universität nicht alle Studierenden dieselben Bedürfnisse haben.

Welche besondere Gabe oder Superkraft hättest du gerne?
Ich würde gerne mit historischen Persönlichkeiten sprechen können. Am liebsten würde ich mit einem bestimmten Schriftsteller reden – er ist zwar nicht unbedingt eine historische Persönlichkeit, aber ich würde trotzdem gerne mit ihm sprechen. Es handelt sich um Howard Phillips Lovecraft, meinen Lieblingsautor (Anmerk.: Der amerikanische Schriftsteller Lovecraft gilt als einer der einflussreichsten Horror- und Science-Fiction-Autoren des 20. Jahrhunderts). Ich würde nur schon deshalb gerne mit ihm sprechen, weil ich meine Masterarbeit über ihn geschrieben habe und es so viele Gerüchte um seine Person gibt. Es wird gesagt, er habe seltsame, esoterische Dinge getan.

Was ist dein grösster Traum?
Ich würde gerne ein Theaterstück über Lovecraft schreiben. Dann würde ich gerne eines Tages nach Montreal fahren – davon träume ich schon sehr lange. Ich habe das Gefühl, dass die Leute dort offener und aufgeschlossener sind. Es ist eine andere, viel offenere Mentalität, anders als in der Schweiz, wo die Menschen recht verschlossen sind. Ausserdem sind sie in Kanada im Bereich Inklusion viel weiter. Ich glaube, dass sie einfach viel inklusiver denken.

Wo siehst du dich in zehn Jahren?
Ich hätte gerne eine feste Arbeit im Bereich Geschichte bzw. Geschichte der Religionen. Ich könnte mir aber auch gut vorstellen, in einem Museum zu arbeiten. Ausserdem möchte ich gerne in meiner eigenen Wohnung leben, und ich hätte gerne einen Hund.

Was braucht es, damit die Gesellschaft inklusiver wird?
Ich finde, dass Menschen mit Behinderungen viel zu oft in spezialisierten Einrichtungen weggesperrt werden. Sie bekommen auch nicht genug Freiraum, selbst über ihre Ausbildung zu entscheiden. Man gibt ihnen kaum die Möglichkeit, einer intellektuell herausfordernden Ausbildung nachzugehen. Man kann aber eine Behinderung haben und gleichzeitig an die Universität gehen. Das ist möglich! Leider sind die Professoren nicht unbedingt fürsorglich und aufmerksam. Ich finde auch, dass man aufhören sollte, Menschen mit Behinderungen einzusperren und von anderen zu trennen – man sollte einfach inklusiver sein!

Was ist dir wichtig?
Ich will autonom sein und mein Leben so führen können, wie es mir gefällt.

Du bist Veganerin. Wie wichtig ist dir das?
Seit ich sechs Jahre alt bin, ernähre ich mich vegan. Das Leid der Tiere trifft mich sehr. Ich denke, dass der Mensch nicht unbedingt tierische Produkte essen muss, um gesund zu sein.